Robert Steuckers: »Faye hat die Gebrüder Jünger versöhnt«

Robert Steuckers: »Faye hat die Gebrüder Jünger versöhnt«

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Mit Guillaume Fayes Novelle Ein Tag im Leben des Dimitri Leonidowitsch Oblomow haben wir die erste, dezidiert rechte Science-Fiction-Erzählung in deutscher Sprache publiziert. Martin Lichtmesz, der das Buch aus dem Französischen übersetzte, nennt sie eine von »schwarzem Humor durchzogene Erzählung von erheblichem Reiz«. Um mehr über diese einzigartige Novelle, ihre Entstehungsgeschichte sowie ihren streitbaren und durchaus sonderbaren Autor zu erfahren, haben wir mit dem belgischen Publizisten Robert Steuckers gesprochen, der Faye mehrere Jahrzehnte kannte und sein politisches Werk stets genau beobachtet hat.


Sehr geehrter Herr Steuckers, ein Belgier und ein Deutscher führen ein Interview in deutscher Sprache, ganz ohne Übersetzer. Wenn ich richtig liege, hätte ich Ihnen meine Fragen jedoch auch auf Spanisch, Französisch oder Englisch stellen können. Wie kommen Sie zu diesem beeindruckenden europäischen Sprachschatz?

Das ist eigentlich nicht erstaunlich, hierzulande bin ich nicht der Einzige. Professor David Engels schreibt ebenfalls sowohl auf Französisch als auch auf Deutsch. Gewiss, weil er aus Eupen (nahe dem Dreiländereck) stammt. Einer meiner Kollegen, der Journalist Lionel Baland aus Lüttich, der sich auf nonkonforme populistische Parteien und Verbände spezialisiert hat, arbeitet auch mit vier Sprachen (Französisch, Deutsch, Niederländisch und Englisch). Dr. Frank Judo, ein guter Bekannter, hat im Zuge eines Symposiums in der Bibliothek des Konservatismus das Wort auf Deutsch ergriffen. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele. In meinem Freundeskreis in Löwen ist die deutsche Sprache sehr oft in Gebrauch und alle Mitglieder sind sogar dazu angehalten, sie gut zu beherrschen, um beitreten zu dürfen. Ich bin ja auch Diplom-Übersetzer. Man könnte also sagen, dass uns nur zwei Lautverschiebungen trennen. Außerdem habe ich noch Latein studiert. So sind die romanischen Sprachen einfach zu lernen und zu beherrschen. Dazu kommt, dass meine Frau in Madrid (am Fuß der Hügel, an denen sich der Königliche Palast befindet) geboren wurde. Das ist natürlich auch hilfreich.  

Ihren vielfältigen publizistischen und politischen Tätigkeiten zum Trotz soll es heute nicht um Sie gehen. Wir wollen über Guillaume Faye sprechen – genauer gesagt über seine Novelle Ein Tag im Leben des Dimitri Leonidowitsch Oblomow, die kürzlich bei uns erschienen ist. Auf Twitter haben Sie die deutsche Erstveröffentlichung sehr wohlwollend, regelrecht euphorisch kommentiert. Verraten Sie uns, wieso?

Fayes große Hoffnung war es, dass seine Texte einmal in die deutsche Sprache übersetzt werden. Sie sind also diejenigen, die post mortem diesen allertiefsten Wunsch erfüllt haben. Mit dieser Euphorie – wie Sie es nennen – habe ich im Grunde die Freude, die er bei Erscheinen dieses Buches auf Deutsch nach so langer Zeit empfunden hätte, stellvertretend zum Ausdruck gebracht. Der Verleger Wigbert Grabert hat in der Vergangenheit einige Texte von Faye übersetzen lassen, doch leider nicht seine so wichtigen Werke über Wirtschaft, Sexualität, Konsumgesellschaft, Moderne, die wirklich als Pionierarbeit innerhalb unserer Kreise bezeichnet werden müssen. Faye versuchte in den 1980er Jahren sehr aktiv in avantgardistischen Kreisen mitzuwirken.

Kürzlich habe ich auf Facebook eine kurze Erwähnung seiner Pariser »Avant-Guerre«-Abende gefunden. Pierre Robin, ein Kumpan von damals, ist der Autor. Robin beschreibt sehr genau, was eigentlich in Fayes Kopf konzipiert wurde. So schreibt er treffend, dass Faye überhaupt nicht von der »New Wave«-Mode oder deren Musik fasziniert war, doch er wusste sehr wohl, dass ohne ein »Update« der eigenen Ausdrucksformen keine neue Politik zu machen war. Faye habe es, so schreibt es Robin in seinen Erinnerungen, für unmöglich gehalten, die klassische griechisch-aristotelische oder eben die dionysische Weltanschauung wieder lebendig zu machen; vor allem nicht mit einer bloßen »schulmeisterlichen« Lobpreisung des gymnasialen, bürgerlichen Humanismus. Deshalb hat Faye stets nach anderen Werkzeugen gesucht, um der modernen Misere zu entkommen.  

Es ist kein Geheimnis, dass die Novelle eigentlich »nur« ein literarischer Anhang zu Fayes umfassendem Buch L’Archéofuturisme ist, in dem er seine Ideen einer zukünftigen Welt nach der »Großen Katastrophe« beschreibt und ausführt. Können Sie umreißen, was Faye unter dem Begriff »Archäofuturismus« versteht und was seinen ideologischen Kern ausmacht?

Die Novelle macht eigentlich schon sehr gut deutlich, was er damit meint. Die Staatselite bzw. die Elite des Imperiums, die vielseitig gebildeten Köpfe der Föderation und letztendlich auch die Armeen sind futuristisch geprägt, verwenden hypermoderne Technologien und benutzen sie als Werkzeuge einer scheinbar unzerstörbaren geopolitischen Macht. Der Rest der Bevölkerung ist derweil wieder erdgebunden, agrarisch geprägt und entwickelt eine ewig bleibende, gewissermaßen auch »völkische« Kultur. Archäofuturismus bedeutet sozusagen ein archaisch-agrarisch-ökologisches Leben für das breite Volk und ein hypertechnisches und futuristisches für die ausgewählte Elite.

Faye war seinerzeit stark an Eisenbahn-Projekten interessiert, insbesondere an der Transsibirischen Baikal-Amur-Eisenbahn, der damaligen deutschen Breitspurbahn, dem gaullistischen Aérotrain und ähnlichen japanischen Projekten usw. Deshalb verbringt Oblomow seinen Tag in einem überwiegend unterirdisch fahrenden Zug. Hauptaufgabe des staatlichen Wesens war es für Faye, superschnelle Kommunikationen zu ermöglichen, genauso wie das Römische Reich straßengebunden und straßenabhängig war. Mein Sohn und ich waren eines Tages erstaunt, als wir beide feststellten, dass Faye eifrig Magazine über allerlei neue Technologien, auch Biotechnologien, las, wie Science et AvenirScience & Vie usw. Auch wenn Besserwisser eine solche Beschäftigung als skurril erachten mögen, verschafft es nichtsdestoweniger Geisteswissenschaftlern eine nötige mentale Hygiene, sich oberflächlich mit den Revolutionen in den Naturwissenschaften und Hochtechnologien (wie etwa Nanotechnologie) auseinanderzusetzen. 

Wieso hat Faye sich entschieden, seinem Buch noch eine Novelle, also ein literarisches Werk, anzuhängen? Um den Stoff zu verdichten? Oder steckt mehr dahinter – etwa Fayes Begeisterung für die Literatur? 

Faye war, genauso wie Jean Thiriart, nicht wirklich an reiner Literatur interessiert. Er las querbeet Soziologie (Maffesoli, Lipovetsky), Philosophie (Heidegger), Politikwissenschaft (Freund), Volkswirtschaft (List, Perroux, Grjebine), Geschichte und Geographie. Eine Ausnahme bei diesen beiden nonkonformen Autoren war sicherlich Louis-Ferdinand Céline, den sie beide sehr schätzten. Ziel dieser kleinen, aber gut abgerundeten Novelle war es, seine Leser für den Doppelaspekt zu begeistern, den der von ihm konzipierte Archäofuturismus in sich trägt, nämlich die Notwendigkeit, zu gleicher Zeit hypertechnisch und archaisch-organisch zu denken. Er bedauerte, dass neurechte Kreise solche Themen nie erwähnten oder sogar ablehnten. Diese negative Haltung den Hochtechnologien oder den Biotechnologien gegenüber war für ihn Indiz einer unpolitischen, kontemplativen, musealen Anschauung, was er auch sehr deutlich und umfangreich im Kern seines Buches L’Archéofuturisme erklärt.

Er hat sich gewünscht, eine Science-Fiction-Welt zu schaffen, um die Literaten (so wie sich Thiriart spöttisch ausdrückte!) der Neuen Rechten dazu zu bewegen, sich endlich für zukunftsfähige Themen zu interessieren. Das gilt natürlich auch für Biotechnologien, was übrigens sein langjähriger italienischer Freund und Jurist Stefano Sutti Vaj als Thema für eines seiner Bücher gewählt hat. Der Futurismus Fayes muss zusammen mit dem »Biotechnologismus« Suttis gedacht werden. Aber beide Annäherungen sind leider innerhalb der neurechten Kreise unbeachtet geblieben.       


Für seine literarische Begeisterung spricht auch die Ausgestaltung des »Nachfolgebuches« L’Archéofuturisme V2.0: Nouvelles Cataclysmiques, ein ausschließlich aus Kurzgeschichten bestehender Band, der den Archäofuturismus erneut in den Fokus rückt. Doch schon 1985 beteiligte sich Faye als Autor an dem Comic-Band Avant-Guerre, in dem viele Motive seiner späteren Novellen, etwa die »Eurosibirische Föderation«, angelegt sind. Hat Faye gewissermaßen eine große Geschichte, eine eigene Welt, erfunden, die er über Jahre ausgestaltete und fortführte?

Ja, das stimmt. Schon immer hat er sich für Raumfahrt und für das europäische Ariane-Projekt interessiert. Diese Begeisterung war auch das Resultat einer kindlichen und jugendlichen Sympathie für belgische Comics oder, besser gesagt, für Graphic Novels, wie die Engländer heute sagen. Zwei Serien waren entscheidend für die lebenslange Neigung Fayes, wissenschaftlich-technologisch, also futuristisch, zu denken. Zu nennen wäre hier die Serie Spirou & Fantasio von Franquin, in der zwei Wissenschaftler konkurrieren: zum einen Zorglub, der erstaunliche fliegende Maschinen konzipiert, baut und dann hunderte Raketen zum Mond schickt, um Werbung für Coca-Cola zu machen; zum anderen Pacôme, Graf de Champignac, der Chemiker ist und verblüffende organische Waffen aus Pilzen entwickelt, wie etwa das »Metamol«, das alle Metalle weich und flüssig werden lässt. 

Das »Metamol« vernichtet eine südamerikanische Armee und chinesische Panzer, Zorglubs Stützpunkt im Dschungel Amazoniens wird mit Handgranaten zerstört, die ein allesfressendes Pilzextrakt enthalten, womit alle menschlichen Konstruktionen buchstäblich aufgelöst werden. Weiter in der Reihe Blake und Mortimer von Edgard P. Jacobs, findet man eine graphische Novelle, in der sich ein Atlantis-Reich unterseeisch in der Mitte des Atlantischen Ozeans direkt unter den Azoren befindet. Dieses unterseeische Reich wird von einem alten ehrwürdigen Basileus sanft geleitet, aber zur gleichen Zeit von aufgehetzten Barbaren bedroht. Die Barbaren siegen und zerstören die schützenden Deiche, wobei die musterhafte Polis platonischer Prägung überflutet wird. Aber die Atlanten und ihr Führer Basileus können rechtzeitig unsere Erde an Bord von hunderten Raumschiffen verlassen, um eine Zukunft auf einem anderen Planeten zu schaffen.


Zudem war Faye auch von Jacobs gezeichneten Flugzeugen fasziniert, die in der Black und Mortimer-Trilogie Le Secret de l’Espadon erschienen, etwa die »Rote Flügel« vom bösartigen Colonel Olrik und der »Espadon« von seinem englischen Gegner. Letzteres ist deutlich die Inspirationsquelle für Fayes »Squaline«-Jets. 


Überdies hat er auch mit großer Aufmerksamkeit die zwei graphischen Novellen aus der Reihe Tim und Struppi verfolgt, in denen Tim und Kapitän Haddock in einer V2-ähnlichen Rakete zum Mond fliegen. Auch die Ultraschall-Waffen von Professor Baldwin Bienlein (Tryphon Tournesol auf Französisch) im Album Der Fall Bienlein interessierten ihn. Und so weiter, und so fort. 


Die Faszination Fayes für futuristische Technologien, für Raumfahrt und Biowaffen entstammt sicherlich seiner tiefen Kenntnis der belgischen graphischen Novellen von Franquin, Jacobs und Hergé. Er war in der französischen Szene nicht allein: Der Musiker und Zeichner Jack Marchal, der das Völkchen der schwarzen neofaschistischen Ratten erfunden hat (man denke an das GUD-Symbol!), ließ sich eindeutig und bewusst von den bösen Ratten des wallonischen Zeichners Raymond Macherot inspirieren. Dann sein Freund, der Maler Olivier Carré, und dessen Bekannter Grégory Pons. Auch sie waren »Tintinophil« (= »Tim-Freaks«), so wie noch heute der Genfer Anwalt Pascal Junod (hyperaktiv in der Schweiz) und ich selbst. Dieser Einfluss ist im deutschsprachigen Raum freilich nicht zu spüren. Ich glaube aber, er hätte es toll gefunden, hätten Zeichner seine Themen aufgegriffen, um neue Serien auf den Markt zu bringen.     

Hand aufs Herz: Wie viel Science-Fiction steckt in Ein Tag im Leben des Dimitri Leonidowitsch Oblomow und Fayes anderen Novellen? Der Autor behauptet jedenfalls, es handele sich um eine durchaus realistische Zukunftsvision…

Faye träumte von einer »eurorussischen« Partnerschaft, wobei die riesigen Entfernungen zwischen der Bretagne, die er abgöttisch liebte, weil sein bester Freund, der bretonische Kulturnationalist Yann-Ber Tillenon, ihm die bretonnitude beigebracht hatte und immer sein treuester Unterstützer geblieben ist, und Ostsibirien, etwa Kamtschatka, durch hyperschnelle Kommunikationsmittel überbrückt würden. In der kurzen Novelle ist eine solche »Föderation« Wirklichkeit geworden. Und wie ich bereits gesagt habe, ist die Elite hochtechnisiert und futuristisch geprägt, weil das Volk agrarisch wirkt und seine alten keltischen, germanischen oder slawischen Wurzeln lebendig bewahrt. Eigentlich versöhnt er hier zwei vollkommen unterschiedliche Orientierungen im konservativ-revolutionären bzw. national-revolutionären Lager, d. h. er löst den Widerspruch zwischen Ernst Jüngers Arbeiter-Welt und Friedrich Georg Jüngers Anti-Technizismus.  

Mit L’Archéofuturisme feierte Faye 1998 sein publizistisches Comeback, nachdem er viele Jahre als »unpolitischer« Radiomoderator arbeitete und der Politik gewissermaßen den Rücken gekehrt hatte. Zuvor hatte er sich von der Nouvelle Droite um Alain de Benoist gelöst bzw. wurde dort unsanft entfernt. Ihnen erging es ähnlich. Hatten Sie beide damals Kontakt? Wie ist das Comeback Fayes, vor allem vor dem Hintergrund einer solchen archäofuturistischen Utopie, einzuschätzen? Und wie würden Sie Faye zu dieser Zeit charakterisieren?

Acht Monate hat es ungefähr gedauert, zwischen Sommer 1986 und März 1987, bevor er sich definitiv von Alain de Benoist getrennt hatte. Die Sommer-Uni 1986 war diesbezüglich ein Fiasko. Seinen Unmut hatte er anlässlich des jährlichen Symposiums im November 1986 deutlich zum Ausdruck gebracht. 

Seinen öffentlichen Abschiedsbrief – in sehr versöhnlichen Tönen – veröffentlichte er im Mai 1987. Die deutsche Fassung davon habe ich selbst bearbeitet; sie ist in der Zeitschrift DESG-Inform aus Hamburg erschienen. Damals war ich dank der Unterstützung von Jean van der Taelen und Guibert de Villenfagne de Sorinnes Teil des Pariser Klübchens geworden. Jean-Marie Simar aus Lüttich hatte drei Broschüren von Faye mit sehr geringen Mitteln herausgegeben: Europe et Modernité (sicherlich der tiefschürfendste Essay, den er je verfasst hat), Petit Lexique du Partisan européen (erster Entwurf von Wofür wir kämpfen) und L’Occident comme déclin (ein ausgezeichneter Essay, der leider nie übersetzt worden ist, noch nicht mal auf Englisch).

Nach dem Bruch habe ich natürlich nicht sektiererisch meinen alten Freund Faye exkommunizieren wollen. Wir haben uns im August 1987 in der Schweiz getroffen, wo Pascal Junod, der noch kein Rechtsanwalt war, ein gesamteuropäisches Fest organisiert hatte. Faye verteilte dort seinen Abschiedsbrief und traf eine Menge Freunde, die aus allen Gegenden Frankreichs angereist waren. Ich nutzte die Gelegenheit, ihn im September nach Brüssel ins Métropole-Hotel einzuladen, um ein Buch (La soft-idéologie) und ein Thema vorzustellen, das er zusammen mit dem berühmten französischen Strategen und Medien-Analysten François-Bernard Huyghe geschrieben hatte. Faye pflegte damals Kontakte zu höchsten akademischen Kreisen. Sein Vortrag über die »Soft-Ideologie« war der letzte, den er vor neurechtem Publikum gehalten hatte. Danach ist er für mich spurlos im Labyrinth von alternativen Medien verschwunden.

Sein Comeback war diskret, aber, wie üblich, gekonnt umgesetzt. Er gab der Redaktion der damals jungen Zeitschrift Réfléchir & Agir (die man heute in allen Kiosken Frankreichs kaufen kann), ein Interview. Hauptthema des Gesprächs war eine Darstellung der neuen zeitgenössischen Musikströmungen, die einen durschlagenden Effekt auf Gesellschaft und Politik hätten, wenn sie zur gleichen Zeit auch in eine solche Richtung durch eine weltanschauliche Elite gelenkt würden. So könnte eine alternative Welt geschaffen werden.

Ein gemeinsamer Freund, der Réfléchir & Agir vertrieb, organisierte ein Treffen in Brüssel, weil Faye es wünschte, mich einmal wiederzusehen, bevor er in der Szene wieder öffentlich auftauchen konnte. Und eines Tages, im Frühling 1998, klingelte Faye an der Tür. Natürlich war er etwas älter geworden, da das Leben in der Welt des »Showbiz« nicht besonders ruhig und nüchtern verlief. Das hinterließ natürlich Spuren. Aber wir haben das Gespräch so angefangen, als ob die letzte Versammlung seiner »Etudes & Recherches«-Gruppe erst eine Woche vorher stattgefunden hätte. Er hatte noch immer ein frohes Gemüt und einen hellwachen Geist. Er legte seinen Begriff des Archäofuturismus dar und kündigte unserer Versammlung das Erscheinen seines Buches an. Einige Mitglieder der Hamburger »Synergon«-Sektion sowie Dr. Tomislav Sunic waren mit dabei. Ein unvergesslicher Tag.


Stichwort »Eurosibirische Föderation«: Faye nimmt in seiner Novelle eine Position ein, die dem »Eurasien-Konzept« Alexander Dugins entgegensteht – Er plädiert nämlich für ein »Eurosibirien«, das nur die »europäischen« Teile Russlands miteinbezieht. Wie bewerten Sie diese Position – auch vor dem Hintergrund der einstigen Streitigkeiten in der französischen Neuen Rechten zu dieser Frage – heute?

Tja, man sollte, glaube ich, die Differenzen zwischen »Eurasien« und »Eurosibirien« nicht allzu ernst nehmen. Dugin ist konsequenter, da er wirklich in der russischen Geschichte eingebettet ist. Dugin übergeht auch nicht einfach die Geschichte der Sowjetunion. Faye indes entwickelt eigentlich eine erweiterte gaullistische bzw. thiriartische Perspektive und hofft so einen interkontinentalen Großraum zu schaffen, der autark genug sein könnte, um Widerstand gegen andere imperiale Großräume leisten zu können. Faye ist hier ganz Schüler von Friedrich List und von François Perroux, der Pläne skizziert hatte, um dem lateinamerikanischen Kontinent eine großräumliche Kohärenz zu geben, damit er sich gegen den Imperialismus Washingtons behaupten könnte.


Faye und Tulaev in Moskau.

Für Faye, Thiriart oder Perroux sind die einzelnen Staaten Europas zu klein und ist Gesamteuropa nicht autark genug, um langfristig zu überleben. Russland seinerseits ist zu dünn bevölkert, um demographisch genug Gewicht zu haben. In Moskau und in Dendermonde (eine flämische Stadt in der Nähe Brüssels) führte Faye interessante Gespräche mit dem »neurussischen« Ideologen, Hispanisten und Kunsthistoriker Pavel Tulaev. Tulaev erhob Kritik dem Begriff »Eurosibirien« gegenüber, aus dem Grund, dass Sibirien nie ein Subjekt der Geschichte gewesen war und dass im sibirischen Raum nur Russland Subjekt der Geschichte war und ist, da das Mongolische Reich Dschingis Khans und seiner Nachfolger unwiderruflich verblichen ist. Deshalb sprachen Tulaev und der flämische Aktivist Kris Roman eher von »Euro-Rus«.

Hier liegt natürlich ein Unterschied zwischen dieser rein russisch-europäischen Perspektive und der gewissermaßen auch turanischen Perspektive, die Dugin eigen ist. Faye war immer Anhänger einer europäisch-russischen Allianz, wie zahlreiche Texte beweisen, die ich für die Euro-Synergies-Webseite übernommen habe. Streitigkeiten innerhalb der französischen Neuen Rechten gibt es diesbezüglich eigentlich kaum. Jeder ist eher pro-russisch, obwohl einige die ukrainischen Rechten unterstützen. 

Die USA kommen in seiner Novelle hingegen nicht gut weg. Später ergriff er dann jedoch Partei für Israel und postulierte ein Islambild, das an die stark neokonservativ gefärbte Counterjihad-Bewegung angelehnt war. Wie ist dieser Wandel zu erklären? Und ist er, mit Verlaub, politisch ernst zu nehmen?

Mit anderen Beobachtern der amerikanischen Gesellschaft, wie etwa James Howard Kunstler, teilte Faye die Überzeugung, dass die Hektik, die grundlegend für die irre Dynamik der amerikanischen Gesellschaft ist, langfristig nicht andauern kann. Dabei sind die USA durch eine lähmende liberale Ideologie, unrealistischen bzw. unwissenschaftlichen Biblismus und einen aggressiven Moralismus geprägt. Dies sind keine echten politischen Grundlagen, wie Carl Schmitt und Julien Freund sie definiert haben. Ohne solche Grundlagen kann ein Imperium nicht überdauern. Es ist dazu verurteilt unterzugehen.

Deshalb sind, in einem fiktiven künftigen Superreich wie der »Föderation« Fayes, die USA machtpolitisch marginalisiert, weil sie, im Gegenteil zu Antaios in der griechischen Mythologie, keine Kraft aus der tellurischen Berührung mit ihrem eigenen Boden schöpfen können. Die Zukunft gehöre erdgebundenen Reichen, die eine Zukunft (»Futurum«) aus den Kräften ihrer arkhè aufbauen. 

Die »Föderation« sowie China und Indien stellen jeweils ein solches erdgebundenes Reich dar. Das indische junge Mädchen, das mit Oblomow reist, gehört einem Reich an, das auf vedischen Grundlagen fußt. Sie reist in ein anderes traditionelles Reich, nämlich China. 

Faye war in den 1980er Jahren der leidenschaftliche Anwalt einer euro-arabischen, anti-imperialistischen Zusammenarbeit. Ein euro-arabisches Colloquium in diesem Sinn fand an der Universität Mons (Bergen) in Hennegau statt, wo für die deutsche Seite Siegfried Bublies und Karl Höffkes teilnahmen (ich war Dolmetscher). Aber seitdem haben salafistische und saudi-wahhabitische Kreise die ganze arabische Szene verändert. Salafismus und Wahhabismus sind genauso Instrumente des US-Imperialismus wie der Zionismus. Der Salafismus hat Algerien schwer getroffen und, später, Ägypten destabilisiert und Syrien in seinen heutigen traurigen Zustand manövriert. Jeder weiß heute, dass Brzezinski die afghanischen Mudschahiddin mit Stinger-Waffen unterstützen ließ und Bin Laden als saudischer Söldner gegen die Sowjets in den Hindukusch schickte. Die Lage ist nicht mehr so überschaubar wie in den 80er Jahren.


Faye war zwischen 2000 und 2004 mit dem Geopolitiker Alexandre del Valle befreundet, der damals Kopf einer pro-zionistischen Orientierung war. Deshalb haben die meisten Beobachter der neurechten Szene den Eindruck, dass er eine radikale pro-zionistische Wende durchlaufen hatte. Tatsächlich hat er, besonders in seinem Buch La nouvelle question juive, gewissermaßen überhitzt reagiert. Die Thesen von del Valle sind mittlerweile umfangreich in der französischen und italienischen Debatte verbreitet, wobei er jetzt die Muslimbruderschaft als Urheberin des Chaos in der arabischen Welt betrachtet. Del Valle begann seine Karriere, indem er die heimliche Allianz zwischen islamischen Fundamentalisten und amerikanischen neokonservativen »Falken« andeutete. Seine Analyse der Lage in Syrien ist ebenso korrekt. Aber was er vielleicht nicht sagen will (oder darf), ist, dass der Zionismus ebenfalls eine Art Instrument des US-Imperialismus ist. Die Baathisten Syriens, Russen, Chinesen und Schiiten aus dem Iran oder aus dem Libanon bilden ja auch jetzt gewissermaßen ein »Counter-Dschihad«-Bündnis. Ohne Salafisten, Wahhabiten oder Zionisten. 

Guillaume Faye ist 2019 gestorben. Sie kannten ihn seit Jahrzehnten. Was war er für ein Mensch? Welche Bücher hat er privat gelesen und welche Anekdoten können Sie mit uns teilen?

Ich habe Faye Anfang des Jahres 1976 in Lille kennengelernt. Als Mensch war er immer freundlich und wohlwollend, nie aggressiv. Wenn jemand ihm neue Perspektiven eröffnete, hörte er immer aufmerksam zu. Faye studierte in einem Jesuiten-Gymnasium in Angoulême, wo er eine stark griechisch-lateinisch geprägte Bildung erhielt. Seine Bildung in klassischer Kultur war verblüffend. Platon und Aristoteles hatte er gelesen und verinnerlicht. Später, als er in Paris studierte und sich in den Arbeitskreisen zu Vilfredo Pareto und Oswald Spengler engagierte, las er besonders Vilfredo Pareto, Bertrand de Jouvenel, Julien Freund, Carl Schmitt und Raymond Ruyer. Später entdeckte er die ersten Schriften Michel Maffesolis. Seine Forschungen waren durchaus politisch, rein politisch im edlen Sinn des Wortes. 

Anekdoten gibt es in Hülle und Fülle. Nur eine will ich hier erwähnen. Unmittelbar nach seinem Comeback, während der Sommer-Uni 1998 im Trentino, kam er mit kurzer Verspätung zu einem Seminar über das Werk Bertrand de Jouvenels. Der junge Referent erklärte in allen Einzelheiten die Begriffe, die Jouvenel in seinen zahlreichen Büchern geprägt hatte. Es war ein bisschen peinlich. Faye sagte dann plötzlich: »Moment, ich habe mit Jouvenel in 1967 studiert. So erklärte er diese Begriffe …«. Und er fing an, die Lektionen Jouvenels musterhaft zu wiederholen, als ob er sie am Vorabend erst gehört hatte. Er hatte noch die Fähigkeit, die »Kunst des Gedächtnisses« zu praktizieren, d. h. eine Methode anzuwenden, die man bis ins 18. Jahrhundert in Europa anwandt, um Vorträge zu halten. Er kritzelte einige Stichwörter und Pfeile auf ein winziges Stück Papier, konzipierte so einen »Weg« und konnte dann einfach zwei Stunden pausenlos reden. So hat er zum Beispiel einen Vortrag über sein Buch La convergence des catastrophes in Brüssel vorbereitet. Ich war erstaunt und bewunderte ihn umso mehr.  

Abschließend, sehr geehrter Herr Steuckers, welche Projekte und Ideen verfolgen Sie aktuell?

Erstens, beharren. Ich will das Tempo halten, mit dem ich die verschiedenen Webseiten und Accounts derzeit organisiere. Zweitens will ich mein Archiv in Büchern publizieren. Da gibt es viel Arbeit. Drittens wünsche ich durch Europa zu reisen, um diejenigen zu treffen, die ebenso fleißig arbeiten und die gleiche Weltanschauung teilen. 

Das Gespräch führte Philip Stein.


Ein Buch voll Anekdoten. Lieferbar bei "éditions du Lore", sowie "La nouvelle question juive", "Sexe et dévoiement" und "Archéofuturisme V2.0":
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