Hellmut Diwald: Wer die Geschichte eines Volkes kriminalisiert, macht es...


Hellmut Diwald: Wer die Geschichte eines Volkes kriminalisiert, macht es krank (Interview)

Deutschland - kein Wintermärchen. Wer die Geschichte eines Volkes kriminalisiert, macht es krank. Ein Gespräch mit dem Historiker Hellmut Diwald. In: Die Welt vom 18. November 1978. Die Fragen stellt Günther Deschner. Hellmut Diwald (*1924 in Schattau, Tschechoslowakei; †1993 in Würzburg) war ein deutscher Historiker und Publizist. Er gehörte zu den bekanntesten Vertretern der sogenannten Neuen Rechten. 

Textauszüge: 

0:34 WELT: Der aufregendste Teil Ihres Buches (Geschichte der Deutschen) ist sicher Ihr Bericht über die deutsche Nachkriegspolitik. Warum lassen Sie Ihre Darstellung der deutschen Geschichte in den siebziger Jahren beginnen? 

1:02 Diwald: "Jeder, ob er will oder nicht, steht in einem direkten Kontakt mit der Vergangenheit, er erlebt und erleidet ihre Wirkungen"  

1:11 WELT: In der Geschichtslosigkeit der Nachkriegsdeutschen hat sich die deutsche Misere offenbart. Welche Folgen hat diese Geschichtslosigkeit für den soziokulturellen Zusammenhang des deutschen Volkes gehabt? 

1:31 WELT: Ich meine das so, wie Sie es im Vorwort Ihres Buches geschrieben haben: die Bewohner der drei deutschen Republiken (BRD, DDR, Österreich)  

3:32 Diwald: [In der BRD] "Hier sind die Probleme am schwierigsten. Denn die Bundesrepublikaner haben zum großen Teil in der Phase der Reeducation, der Umerziehung, ein gebrochenes und in seinem Gehalt moralisch abqualifizierendes Verhältnis zur deutschen Geschichte erhalten"  

3:34 WELT: Das betrifft vor allem die Darstellung der jüngsten Geschichte?  

4:05 WELT: Sie haben das in Ihrem Buch so ausgedrückt, das Verhältnis zu ihrer Geschichte sei den Deutschen nicht abhanden gekommen, sondern es sei ihnen ausgetrieben worden.  

4:20 Diwald: "Ich erinnere nur daran, daß man eine große Linie des angeblichen zwangsläufigen deutschen Unheils konstruierte, die man dann von Martin Luther über Friedrich II. und Bismarck bis hin zu Hitler gezogen hat. Schon während des Krieges erschien in den alliierten Ländern eine Fülle von einschlägigen Büchern, mit denen man dann auch nach 1945 in Deutschland das Geschichtsbild prägte. Vielfach ging man sogar noch hinter Luther zurück und behauptete, schon die staufischen Kaiser hätten nichts anderes betrieben als die Eroberung der Welt und die Unterdrückung anderer Völker" 5.11 WELT: Aber hat nicht der letzte Abschnitt der deutschen Geschichte so manchen Vorwand dafür geliefert?  


5:25 Diwald: "Unsere Schuld wurde von uns niemals beschönigt. Sie wurde oft genug im vollen Umfang eingestanden. Viel zu oft; denn dank der überschießenden Häufung unserer Nationalbeichten wurde die Kollektivschuld-These ständig weiter gefüttert. Schuld ist eine sittlich-religiöse Kategorie. Die Vorstellung aber, daß ein ganzes Volk für kriminelle Taten verantwortlich sei, gehört in die Bezirke von Magie, Phantasie und moralischer Spekulation" 

5:54 WELT: Also auch unter Anerkennung der kriminellen Aspekte des Dritten Reiches dürfen sich die Deutschen nicht ihre ganze Geschichte kriminalisieren lassen?  

6:39 WELT: Sie selbst sind der Auffassung, daß wesentliche Komplexe der Zeitgeschichte noch keineswegs so abschließend aufgehellt sind, wie man allgemein behauptet. Selbst bei der Judenfrage, so schreiben Sie, sei „trotz aller Literatur noch immer einiges ungeklärt“'  

7:40 WELT: Über die Zeit nach 1945 fällen Sie Urteile, die Ihnen nicht nur Freunde machen werden. Warum machen Sie für die Spaltung Deutschlands vor allem die Alliierten, auch die Amerikaner, verantwortlich? 

8:44 WELT: Und die Verantwortung der Deutschen und Hitlers?  

9:27 WELT: Sie meinen, der Sündenbock darf niemals mehr große Sprünge machen?  


9:58 WELT: Ihre Darstellung der Nachkriegsgeschichte ist, wie Ihnen ein Rezensent nachgesagt hat, von grausamer Nüchternheit. So sehen Sie beispielsweise Adenauers einzigartige Größe, aber sie nehmen ihm übel, er habe die Einheit sehenden Auges verspielt. 

11:46 WELT: Waren denn die Verhältnisse der Nachkriegszeit so, daß deutsche Regierungen überhaupt frei entscheiden konnten? 

12:28 WELT: Sie unterteilen selbst die Geschichte der Bundesrepublik in drei Phasen: die Regierungen der CDU, der Großen Koalition und schließlich der sozial-liberalen Koalition. Sehen Sie in einer dieser Phasen den ernsthaften Versuch, an die geschichtliche Kontinuität Gesamtdeutschlands anzuknüpfen?  

13:26 WELT: Man hat Ihnen schon vorgeworfen, Sie hätten mit Ihrer Arbeit ein nationales Lehrstück verfaßt und Sie würden nationale Empörung wachrufen wollen. Stört Sie das? 14;17 WELT: Es geht Ihnen um einen Identitätsbeweis der Deutschen. Worin sehen Sie neben dem Band der gemeinsamen Sprache und Kultur die Konstanten, die uns über die Epochen und über alle Grenzen hinweg verbinden?  

16:14 WELT: Gibt es für den Historiker auch so etwas wie einen unveräußerlichen Nationalcharakter bei den Deutschen?

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