Armin Mohlers Buchtipp: Hellmut Diwald - Geschichte der Deutschen
Hellmut Diwald: Unsere gestohlene Geschichte (Auszüge) • Hellmut Diwald: Unsere gestohlene Ges...
Armin Mohler rezensiert Hellmut Diwald. Artikel abgedruckt in: Sondernummer von Die Welt, vom Oktober 1978. Textauszüge:
0:10 "Eine Geschichte der Deutschen, von Heinrich dem Vogler bis zu Helmut dem Macher, von einem einzigen Verfasser geschrieben; das will schon was heißen. Es ist kein Zufall, daß unter denen, die seit 1945 ein solches Opus gewagt haben, nur ein einziger, ein berufsmäßiger Historiker war, nämlich Veit Valentin im Jahre 1946. Der andere Professor unter ihnen, Michael Freund, war Politologe. Und die übrigen drei, Hubertus zu Löwenstein, Paul Sethe und Emil Franzel, sind zu den politischen Schriftstellern zu rechnen"
0:48 "Hellmut Diwald, Professor der Neueren Geschichte an der Universität Erlangen/Nürnberg, ist nicht nur der erste Fachhistoriker, der nach mehr als drei Jahrzehnten mit dem mächtigen Band der Geschichte der Deutschen, den Versuch wieder gewagt hat. Er unter scheidet sich von allen genannten Vorgängern in einem entscheidenden Punkt. Sie alle waren in irgendeiner Weise traumatisch mit dem Dritten Reich verbunden; sei es als Emigrant, oder als einer, der sich hatte anpassen müssen. Diwald ist ein bis zwei Generationen jünger. Er wurde 1929 in Mähren geboren, wuchs in der Tschechoslowakei auf, siedelte 1940 nach Franken über. Er hat jene Zeit noch geschmeckt, aber er hat sie aus dem Abstand des Kindes und des Schülers erlebt. Diesen Abstand verspürt man in seiner Geschichte der Deutschen teils auf wohltuende Weise, teils geht es an die Nieren"
1:41 "Der Historiker Diwald ist nämlich manchmal von grausamer Nüchternheit. All das Polster der Allgemeinheiten und Betulichkeiten, alle sonst um die deutsche Geschichte gerankte Phraseologie und Gefühligkeit ist bei diesem Kriegskind wie weggefegt"
2:54 "Daß Diwald sich überhaupt nicht um das kümmert, was man sagt oder was man zu sagen hat, erlaubt ihm jedoch das Herausholen einer „Dramatik aus den Sachen“. Die Leidenschaftlichkeit entspringt bei ihm direkt den Konstellationen die er sichtbar macht, indem er vor ihnen aufgetürmte Scheinprobleme mitleidlos wegräumt. Es ist ein ständiges Kalt-Heiß-Kalt bei Diwald; er ist ein Meister der Überrumpelung. Das fängt schon auf den ersten Seiten des Buches an, wo er seine Zeit nicht mit langen Definitionen dessen, was deutsch sei, vertrödelt; sondern trocken feststellt, daß die Deutschen heute auf „drei Republiken“ verteilt seien"
3:50 "Die deutsche Nation ist für Diwald etwas sehr Einfaches und Selbstverständliches: eine Erlebens- und Leidensgemeinschaft, deren Tatsächlichkeit auf jedem Deutschen lastet, ob er es nun will oder nicht"
4:10 "Das liegt vor allem auch an der eigenwilligen Konstruktion dieser deutschen Geschichte. Sie beginnt beim heutigen, in Jalta geschaffenen Zustand Mitteleuropas, und endet im Jahr 919, bei Heinrich dem Ersten. Diwald nennt dieses Verfahren „gegenchronologisch“
4:51 "Das gegenchronologische Verfahren verharmlost die deutsche Geschichte keineswegs. Im Gegenteil. Da man so auch glückliche Augenblicke dieser Geschichte von der heutigen Zerstückelung her erlebt, werden auch sie vom Schmerz durchtränkt"
5:38 "So ergibt sich eine neuartige Optik. Hat man sich einmal an die gewöhnt, so stellt sich eine Art von „stereoskopischem“ Effekt ein. Diwald erzählt ja nicht kontinuierlich, mit gleichbleibender Verteilung der Effekte, sondern hebt einzelne Ereignisse paradigmatisch heraus"
6:38 "Das in Diwalds Erzähltechnik enthaltene Umdrehen der Zeit hat einen doppelten Effekt: Wir sehen die einzelnen geschichtliche Situation plastischer; und vor allem verliert sie ihre Zwangsläufigkeit. Man sieht wieder alle Möglichkeiten, die in ihr stecken"
7:03 "Die deutsche Geschichte ist für ihn nicht eine Einbahnstraße ins Verhängnis. Es fehlt bei ihm die Vorstellung, die sich bei fast allen seinen Vorgängern seit 1945 findet: daß irgendwo in dieser Geschichte, auf nichtwiedergutzumachende Weise die Weiche falsch gestellt worden sei"
8:06 "Die deutsche Geschichte zerfließt stets an den Rändern. Sie ist von der Geschichte des sie Umgebenden nicht zu trennen, ob man das nun Mitteleuropa oder Europa, oder wie auch immer nennen mag. Die deutsche Geschichte ist zwar voll von Eigenbrötelei. Das schafft aber zugleich auch bewegliche Eigenständigkeit, die hilft, eine Geschichte auszuhalten, die nach allen Seiten offen ist. Und die vor allem nie fertig ist"
8:32 "Über die Zeit nach 1945 fällt Diwald einige Urteile, die ihm nicht nur Freunde schaffen werden. Er sieht zwar Adenauers Singularität, aber er nimmt ihm übel, daß er ein zu enges Gehäuse geschaffen habe; eben weil er sein politisches Werk nicht im Bewußtsein jener Offenheit und Nichtdeterminiertheit deutscher Geschichte schuf"
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